Nachhaltige Führung – was wir von indigenen Völkern lernen können

von | 20.08.2022

In der letzten Woche machte mich meine Kollegin Franka Ismer auf ein Buch aufmerksam: Kogi – von Lucas Buchholz. Der Untertitel: Wie ein Naturvolk unsere moderne Welt inspiriert.

Sofort war ich Feuer und Flamme, erinnerte ich mich an die Begegnung mit Silfo Cifuentes, dem Inhaber des kleinen Ökohotels am Playa la Roca, in dem wir 2018 an de kolumbianischen Karibik­küste zu Gast waren. Silfo hat mehr als 4 Jahrzehnte mit den Kogi zusammengelebt. Ich hatte die Möglichkeit, ausführlich mit ihm über seine Erfahrungen zu sprechen und habe mit großer Begeisterung sein Buch gelesen.1 Kernstück unserer Gespräche und des Buches war die Verbundenheit mit und der Respekt vor der Natur.

Nun hat mir Franka das Buch von Lucas Buchholz empfohlen, das ich noch nicht gelesen, mir aber sofort bestellt habe. Und natürlich habe ich mir auch einige Videos angeschaut. Hier fand ich besonders Lucas Gedanken interessant, dass sich vor allem Unternehmen von den Ansätzen der Natur­völker inspirieren lassen können. Denn zum einen findet sich hier der allergrößte Teil der Menschen wieder, zum anderen haben Organisationen in der Regel eine Größen­ordnung, in der Transformations-Ansätze gut greifen können. 2

Was genau können wir aber in puncto nachhaltige Führung von den indigenen Völkern lernen?

Nach Aussage der Vereinten Nationen leben rund 370 Millionen Menschen auf der Welt, die als Angehörige indigener Völker gelten. Das sind 5% der Weltbevölkerung in 90 Ländern und mehr als 5.000 indigene Bevölkerungs­gruppen.3

Sie haben über Jahrtausende Wissen zur Natur gesammelt, das uns bis heute als Inspiration für die Herausforderungen unserer Zeit dienen kann. Sie bewirtschaften rund 25% der Landflächen weltweit, die meist besser geschützt sind. Rund 80% der Arten­vielfalt findet sich in ihren Gebieten.4

Was wir von ihnen lernen können, zahlt zum einen auf „technisches Know-how“ ein. Der Weltklimarat IPCC zum Beispiel bezieht sich in seinem Bericht aus 2007 auf das Beispiel der Wasser­versorgung in den Anden. Dort haben auf der Grundlage jahrhunderte­langer Klima­beobachtungen Menschen Möglichkeiten entwickelt, das Regenwasser durch Auffang- und Speicher­systeme zu nutzen.5 Diese Art von Wissen kann angesichts des erneut viel zu trockenen Sommers in unseren Breiten sehr hilfreich sein.

Zum anderen können wir eine ganze Reihe von Ideen und Impulsen der indigenen Völker für die Kultur­entwicklung in Unternehmen nutzen.

Wir haben im folgenden einige Tipps für Deine nachhaltige Führung zusammengefasst, die Du sofort in Deinen Alltag integrieren kannst.

Nachhaltiges Auswirkungs­bewusstsein

Zu diesem Thema fällt mir als Beispiel sofort das 7-Generationen-Prinzip der Irokesen ein:

Denke bei allem, was Du tust, 7 Generationen voraus – so der Grundsatz. Wenn wir davon ausgehen, dass ein Generationen­zyklus 25-30 Jahre umfasst, bemessen sich die Auswirkungen unserer Handlungen auf rund 200 Jahre.

Ist das im unternehmerischen Kontext überhaupt machbar, wo Kennzahlen und Ziele für immer kürzere Zeiträume festgelegt werden, weil die Zukunft nicht mehr prognostizierbar ist?

Wir denken, dass es kein Widerspruch sein muss, systemisch-agil in iterativen Prozessen zu arbeiten und gleichzeitig im Blick zu haben, dass das Unternehmen einen Beitrag leistet, der auch künftigen, einschließlich der 7. Folge­generation, eine erfüllte und lebenswerte Welt sichert.

Eine Frage, die Du Dir als nachhaltig agierende Führungskraft bei all Deinen Entscheidungen stellen kannst, kann also diese sein:

Welche Auswirkungen hat meine heutige Entscheidung langfristig auf die Zukunft?

Austausch zum Sinn des Daseins

Ein weiterer Punkt, den Lucas Buchholz in einem seiner Videos anspricht, ist der Austausch. Die Kogi-Männer treffen sich abends im Gemeindehaus und diskutieren bei einem Feuer über ihren Platz in der Welt.6 Ich habe in einer meiner Ausbildungen eine sehr wirkungsvolle Übung kennengelernt, die Du als nachhaltige Führungskraft auch gerne mit Deinem Team oder für Dich allein machen kannst:

Stelle Dir die Frage: Wer bin ich und was ist meine Aufgabe?

Nimm Dir ruhig 30, besser 60 Minuten Zeit. Gerne kannst Du Dir zu den Antworten Notizen machen. Wiederhole die Frage nach jeder Antwort immer wieder: Wer bin ich und was ist meine Aufgabe?

Wollt Ihr die Übung im Team machen, könnt Ihr paarweise zusammen gehen:

A fragt B: Wer bist Du und was ist Deine Aufgabe?

B antwortet …

A: Danke. Wer bist Du und was ist Deine Aufgabe?

B antwortet.

Und so weiter…. Nach ca. 20 Minuten werden die Rollen getauscht.

Egal, ob Du die Übung allein oder mit anderen machst – Du wirst feststellen, dass Dir die ersten Antworten schnell über die Lippen kommen, danach wird es schwieriger. Das ist normal, denn mit jeder erneuten Frage geht es mehr in die Tiefe. Bleibe also bei Deiner Frage, auch wenn Du ein wenig länger auf die Antwort warten musst.

Den richtigen Ort finden

Lucas Buchholz spricht in seinem Video auch den Ort und seine Gestaltung an, an dem der Austausch der Kogi stattfindet. 7

  • An welchen Orten besprecht Ihr z.B. Eure Vision, Eure Unternehmens­kultur etc.?
  • Wie sind diese Orte gestaltet?
  • Wie sorgt Ihr für eine hohe Aufmerksamkeit/­Achtsamkeit in Euren Gesprächen?
  • Was unternehmt Ihr, um Ablenkungen zu vermeiden?
  • Wie gut könnt Ihr einander zuhören?

 Nutzen, was da ist

In dem Ökohotel von Silfo sind die Hütten nach dem Vorbild der Architektur der Kogi gebaut.

Das, was da ist, wird genutzt und das möglichst naturbelassen. Die Stricke für die Dach­konstruktion zum Beispiel sind aus Hanf, den es in der Region reichlich gibt. Es gibt keine Nägel, keine Schweiß­nähte. Die Luft­zirkulation erfolgt durch offene Flächen. Baum­stämme bleiben in ihrer ursprünglichen Form erhalten.

Die Natur wird einbezogen; die Vegetation ist üppig – alles darf wachsen.

Und noch etwas: Der Fokus liegt auf dem, was wesentlich ist.

Die hieraus resultierenden Fragen sind aus meiner Sicht gut übertragbar auf ganz unterschiedliche Kontexte im Business:

  • Was ist wirklich wesentlich? Wieviel müssen wir wovon haben oder machen?
  • Was haben wir zur Verfügung und wie können wir all das, was wir haben, sinnvoll einsetzen?
  • Was kann so bleiben wie es ist?
  • Wie können wir die Natur in unseren Alltag lassen?

Ich bin mir sicher, dass wir noch eine Reihe weiterer Impulse und Inspirationen von den Kogi und anderen Naturvölkern auf unserem Weg zum Aufbau nachhaltiger Unternehmen mitnehmen können. Für heute möchte ich noch einen Punkt erwähnen:

Die Verbundenheit zur Natur

Bei all den positiven Aspekten möchten wir aber auch vor einem Schwarz-Weiß-Denken warnen. Es gibt auch Hinweise, dass lange vor der Industrialisierung manche Völker auf nicht nachhaltige Weise in die Natur eingegriffen haben, z.B. durch übermäßige Jagd oder Brand­rodungen. Sie haben sich damit ihre eigene Lebens­grundlage genommen. Heute passiert dies in den Industrie­ländern allerdings in viel größerem Maßstab.8

Grundsätzlich haben aber alte Kulturen wie zum Beispiel die Kogi einen großen Respekt vor und eine starke Verbundenheit zur Natur. Die Natur und ihre Bestandteile, ob Mensch, Pflanze, Tier, Stein, sie alle sind in der Vorstellung der indigenen Völker lebendig.

Ihre Beziehung ist wechselseitig. Zum einen ist die Natur die Grundlage des Überlebens, andererseits haben indigene Gruppen über viele Jahrhunderte Wissen über die Natur gesammelt. Dieses Wissen ist die Basis dafür, Ressourcen auch nachhaltig zu nutzen.

Wie kannst Du in Deinem Unternehmen die Natur im Blick behalten?

Zum Beispiel, indem Du ihr eine Stimme gibst. Beziehe sie als Stakeholder aktiv in Deine Überlegungen ein. Bei Patagonia zum Beispiel ist die Natur einer der Key-Stakeholder.9

Du kannst für die Einbeziehung der Natur sogenannte zirkuläre Fragen nutzen, hier kommen einige Beispiele:

  • Was würde die Natur Dir im Hinblick auf Deine Entscheidung raten?
  • Was würde sie sagen, worauf Du achten / was Du im Blick behalten sollst?
  • Auf welche Risiken würde sie Dich aufmerksam machen?

Fazit

Wenn Du mich fragst, bin ich ganz auf Seiten der Nachhaltigkeits­forscher der Leuphana Universität Lüneburg und der Universität Stockholm, die in einer Studie zu dem Ergebnis kommen, dass das Wissen der indigenen Völker zwar als Bestätigung und Ergänzung wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Nachhaltigkeits­forschung genutzt wird, dass es aber letztlich darauf ankommt, den gesellschaftlichen Wandel in Richtung Nachhaltigkeit aus der Sicht der indigenen Völker und lokalen Gemeinschaften zu verstehen. Insbesondere von der Beziehung zur Natur der indigenen Völker können wir lernen.10

Ich selbst werde mich auf jeden Fall weiter mit diesem Thema beschäftigen – einige Anregungen werden auch in unsere Workshopreihe zur Nachhaltigen Führung einfließen.

Vielleicht konntest auch Du die eine oder andere Idee für Deinen nachhaltigen Führungs­alltag mitnehmen? Das würde uns sehr freuen.

Quellen

1) Silfo Cifuentes, El Indio Interior – Memorias de un Hippie Kogui

2) https://shop.neueerde.de/Buchholz-Lucas/Kogi.html, Abruf am 19.08.2022

3) https://www.umwelt-im-unterricht.de/hintergrund/indigene-voelker-menschenrechte-und-nachhaltige-entwicklung/ Abruf am 19.08.2022

4) https://www.dw.com/de/wie-indigene-völker-ihr-wissen-über-die-natur-nutzen/av-57587386, Abruf am 19.08.2022
5) https://www.umwelt-im-unterricht.de/hintergrund/indigene-voelker-menschenrechte-und-nachhaltige-entwicklung/

6) https://shop.neueerde.de/Buchholz-Lucas/Kogi.html, Abruf am 19.08.2022

7) Ebenda, Abruf am 19.08.2022

8) https://www.umwelt-im-unterricht.de/hintergrund/indigene-voelker-menschenrechte-und-nachhaltige-entwicklung/ Abruf am 19.08.2022

9) Thomas Pyczak, That´s me! Rheinwerk Computing, 1. Auflage 2021, S. 259

10) https://www.leuphana.de/universitaet/pressemitteilungen/pressemitteilungen-ansicht/2020/01/28/nachhaltigkeitsforscher-fordern-wissen-von-ureinwohnern-staerker-nutzen.html

Kathrin Scheel – Expertin für Organisationsentwicklung

Kathrin Scheel

Kathrin Scheel ist Management Executive Coach (ECA), Lehrcoach und Lehrtrainerin (ECA) sowie Trainerin für Führung & Entwicklung. Und sie ist Mitgründerin von zeitsprung. Ihr sind die Einbindung von Führungskräften und Mitarbeitern im Unternehmen sowie deren Entwicklung sehr wichtig.

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